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Transidente Menschen in der queeren Geschichte der Rhein-Neckar-Region

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schwarz-weiß Foto von Liddy Bacroff, 1933

Transidente Personen identifizieren sich nicht mit ihrem angeborenen, biologischen Geschlecht, sondern fühlen sich dem Gegengeschlecht zugehörig. Anknüpfend an das vom MARCHIVUM herausgegebene Buch "Queer im Leben! Geschlechtliche und sexuelle Vielfalt in Geschichte und Gegenwart der Rhein-Neckar-Region", blicken wir heute in die Geschichte transidenter Menschen in der Region und stellen die Biografien von zwei trans Frauen mit ganz unterschiedlichen Schicksalen vor.

Hertha Elisabeth Wind wurde 1897 in Ludwigshafen im Körper eines Jungen geboren und wuchs als Adolf Wind auf. Bereits mit acht Jahren äußerte sie den Wunsch, ein Mädchen zu sein. Im Ersten Weltkrieg meldete sie sich freiwillig zur Marine. Danach arbeitete sie als Kaufmann in Ludwigshafen. Biologisch ein Mann, heiratete sie 1924 eine Frau und wurde Vater von zwei Söhnen. Wie Wolfgang Knapp in seinem Buchbeitrag über Hertha Wind ausführt, empfand sie sich aber weiterhin als Frau. Der Leidensdruck war so groß, dass sie unter psychosomatischen Beschwerden und Depressionen litt.



Hertha Elisabeth Wind, 1953, Abbildung: Landesarchiv Speyer H 74, Nr. 2415.

1931 unterzog sie sich in Frankfurt a. M. einer geschlechtsangleichenden Operation; es war eine der ersten dieser Art in Deutschland. 1933, zu Beginn der NS-Herrschaft, wurde sie aufgrund einer angeblichen "gemeingefährlichen Geisteskrankheit" zwangsweise in die Kranken- und Pflegeanstalt Frankenthal eingewiesen. Den von einem Arzt empfohlenen dauerhaften Aufenthalt konnte sie abwenden. 1939/40 ließ sie in Mannheim und Frankfurt zwei weitere geschlechtsangleichende Operationen an sich vornehmen. Die Ehe wurde 1947 geschieden.

In den fünfziger Jahren wohnte Hertha Wind – nur mit einer kleinen Rente ausgestattet – in Mannheim. Nun ging sie mit ihrer Lebensgeschichte an die Öffentlichkeit. Die Presse berichtete mal wohlwollend, mal reißerisch über ihren "Fall". Die von ihr geplante Biografie wurde nie veröffentlicht. Als sie 1972 starb, war ihr Lebensweg als trans Frau in Vergessenheit geraten. Im Kontext queerer Forschung wurde er in den letzten Jahren wieder in Erinnerung gebracht.



Liddy Bacroff, 1993, Abbildung: Staatsarchiv Hamburg StAHH 242-4 Kriminalbiologische Sammelstelle, 339.

Liddy Bacroff wurde 1908 in Ludwigshafen im Körper eines Jungen geboren und erhielt den Namen Heinrich Eugen Habitz. 1925 kam sie in die Erziehungsanstalt Schwarzacher Hof im Odenwald. Davor war sie vom Amtsgericht Ludwigshafen aufgrund eines Vergehens "wider die Sittlichkeit" zu sechs Wochen Haft verurteilt worden. 1929 stand sie auch in Mannheim vor Gericht. Nun erhielt sie eine zweimonatige Gefängnisstrafe wegen „widernatürlicher Unzucht“ nach §175. Sie galt als Mann, der mit Männern verkehrte. Dabei empfand sie sich selbst als Frau. Nach der zweiten Haft zog sie zunächst nach Berlin, dann nach Hamburg. Sie nahm den Namen "Liddy Bacroff" an, trat in Travestie-Shows auf und lebte außerdem von der Prostitution.

In Hamburg wurde sie aufgrund von Prostitution und Homosexualität mehrfach verurteilt und inhaftiert. 1938 fiel sie in einem Lokal als "Mann in Frauenkleidern" auf, sie wurde erneut verhaftet und wegen "gewerbsmäßiger widernatürlicher Unzucht" als "gefährlicher Gewohnheitsverbrecher" zu drei Jahren Zuchthaus mit anschließender Sicherheitsverwahrung verurteilt. 1942 wurde sie in das KZ Mauthausen überstellt, in dem sie 1943 ermordet wurde. In Hamburg erinnert seit 2019 ein Stolperstein an Liddy Bacroff. Das Mannheimer Theater Oliv widmete ihr 2016 das Theaterstück "Will flirten, toben, schmeicheln! Lasst mich – ich bin Liddy". Ausschnitte aus dem Theaterstück zeigt die Filmdokumentation, die dem Buch über das queere Leben in der Region beigegeben ist.



Pressebericht über Joseph / Maria Einsmann, geb. Mayer, in: NMZ, 21.8.1931, Abbildung: MARCHIVUM.

1931 erfuhr die Mannheimer Öffentlichkeit von einem trans Mann, der so freilich noch nicht genannt wurde. Joseph Einsmann lebte in Mainz mit einer Frau zusammen und hatte sich als Vater ihrer beiden Kinder ausgegeben. 1931 kam heraus, dass er eine "Frau in Männerkleidung" war, wie die Neue Mannheimer Zeitung schrieb. Er wurde wegen Betrugs vor Gericht gestellt und musste beim Prozess gegen seinen Willen Frauenkleidung tragen.

Männer und Frauen, die nicht in der Rolle lebten, die ihnen bei Geburt zugewiesen worden war, erregten in der Öffentlichkeit in hohem Maße Aufsehen und mussten mit Verhaftung wegen unsittlichen Verhaltens oder groben Unfugs rechnen. Die Zeitschrift "Die Freundschaft", ein Sprachrohr der frühen queeren Emanzipationsbewegung, empfahl 1921 einer trans Person aus der Rhein-Neckar-Region "nur mit besonderer polizeilicher Genehmigung" mit Damenkleidern auf die Straße zu gehen. Aus Berlin ist bekannt, dass es dort sogenannte Transvestitenscheine gab, die trans Menschen bei einer Polizeikontrolle vor Verhaftung schützten.

Der aus heutiger Sicht unzutreffende und missverständliche Begriff "Transvestit" wurde erstmals 1910 von Magnus Hirschfeld, dem bedeutenden Berliner Sexualwissenschaftler und Vorkämpfer für die Rechte homosexueller, transidenter und intergeschlechlicher Menschen verwendet. 1923 sprach Hirschfeld von "seelischer Transsexualität". Damals war auch vom "dritten Geschlecht" die Rede, womit auch intergeschlechtliche Menschen gemeint waren. Zwischen 1930 und 1932 erschien in Berliner Radszuweit-Verlag die Zeitschrift "Das 3. Geschlecht. Die Transvestiten". Neben den Schriften von Hirschfeld erfüllte diese Zeitschrift eine wichtige Funktion innerhalb der queeren Emanzipationsbewegung, weil sie dem Thema Transidentität eine eigene Bedeutung zumaß und sich trans Menschen darin wiederfinden konnten.

Christian Könne verweist in seinem Buchbeitrag "Cross-Dresser. Zwischen Klinik und Cabaret" auf das Phänomen der sogenannten Damenimitatoren in der Kaiserzeit und den Weimarer Jahren. Mehrfach traten in der Rhein-Neckar-Region Damenimitatoren in Varieté- und Theaterhäusern auf. 1907 gastierte in Mannheimer Apollotheater Alexander Tacianu, den die hiesige Presse als eindrucksvollsten Vertreter "dieser eigenartigen Spezie der artenreichen Varietékunst" beschrieb. Für Uneingeweihte sei es unmöglich festzustellen, dass man es "mit einem verkleideten Manne" zu tun habe.



Dameimitator Alexander Tacianu, Autogrammkarte, 1921, Abbildung: Wikipedia Commons/Stefan Bolognini.

Cross-Dresser waren als Kunstfiguren erlaubt und anerkannt. In der NS-Zeit waren sie auf den Bühnen allerdings nicht mehr zu sehen, es sei denn stadtbekannte Stimmungskanonen schlüpften an Fasching in Frauenkleider, um das Publikum zu unterhalten. In der Nachkriegszeit traten Cross-Dresser wieder in Varietés, Clubs und Theatern auf. Nun nannten sie sich nicht mehr Damenimitatoren, sondern Travestiekünstler. Das Duo Mary & Cordy, das 1983 im Mannheimer Rosengarten ein Gastspiel gab, schaffte es in den Achtzigern sogar in diverse Fernsehshows.



Travestieshow in der Mannheimer Nachtbar Pigalle, 1964, Abbildung: MARCHIVUM.

Waren Damenimitatoren bzw. Travestiekünstler homo-, bi- oder heterosexuelle Männer, die nur für ihre Shows in Frauenkleidung schlüpften und Spaß an der Verwandlung hatten? Oder waren es trans, vielleicht auch inter Menschen, die sich auf der Bühne so zeigten, wie sie es im Alltag nicht konnten? Alle diese Varianten sind denkbar. Abgesehen davon stand der Glamour auf der Bühne im krassen Gegensatz zu den Lebensrealitäten von trans Personen. Deshalb trauten sich viele auch nicht, ihre Identität zu leben oder gar öffentlich zu machen. In den 1970ern vollzog sich im Zuge der nun selbstbewussteren queeren Emanzipationsbewegung ein Wandel. Dennoch blieben Vorurteile und Diskriminierungen bestehen.

1984 porträtierte das hiesige Stadtmagazin KiK unter der Überschrift "Ich bin ... eine Frau" die aus Venezuela stammende Faisan, die als Omaira lebte und als Künstlerin auftrat. Das Stadtmagazin Meier stellte sich 1993 dem "Tabuthema Transsexualität". 1994 berichtet die Heidelberger Frauenzeitung Abschminke unter der Überschrift "Transsexualität. Zwischen allen Stühlen". Hierzu erschien ein Interview mit der trans Frau Michaela Eger. Nach Christian Könne ist es das erste umfangreichere Zeugnis in der trans Geschichte der Rhein-Neckar-Region seit den Berichten über Hertha Wind in den 1950er Jahren. 2018 wurde der erste autobiografische Text einer trans Frau aus der Region veröffentlicht. Valerie Schnitzer gab ihrem Buch den Titel "Geheilte Seele, befreites Ich".

Mehr zum Thema und weitere spannende Hintergrüunde aus der Geschichte des queeren Lebens in der Rhein-Neckar-Region gibt es in der MARCHIVUM-Publikation "Queer im Leben! Geschlechtliche und sexuelle Vielfalt in Geschichte und Gegenwart der Rhein-Neckar-Region". Das Buch mit beigefügter DVD ist im Verlag Regionalkultur erschienen. Es ist im Shop des MARCHIVUM erhältlich.

alles zum Thema: LSBTIQ, Stadtgeschichte

"Alles - nur nicht nach Mannheim!" Ilvesheims Widerstand gegen die Eingemeindung im Jahre 1973

Ab der zweiten Hälfte der 1960er Jahre befassten sich die Bundesländer mit dem Gedanken einer umfassenden Verwaltungsreform, mit der Zielsetzung, kommunal-strukturelle Gegensätze auszugleichen, die Gemeinden neu zu ordnen und die interkommunale Zusammenarbeit zu intensivieren. Das ebenso ambitionierte wie umstrittene Reformwerk wurde in Baden-Württemberg während der Zeit der Großen Koalition unter Ministerpräsident Dr. Hans Filbinger (CDU) und Innenminister Walter Krause (SPD) auf den Weg gebracht. Einhergehend mit der Neuordnung der Verwaltung wurde eine Kreis- und Gemeindereform vollzogen, die am 1. Januar 1975 ihren Abschluss fand. Als eines der Ergebnisse dieser Reformen stand die Gründung des Rhein-Neckar-Kreises zum 1. Januar 1973, dem fortan auch Ilvesheim angehörte.

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Queere Emanzipationsbewegung der 1970er und 80er Jahre in Mannheim

Die Verfolgung queerer Menschen endete nicht mit dem Jahr 1945. Erst 1969 wurde der Paragraf 175, der männliche Homosexualität unter Strafe stellte, reformiert. Das Totalverbot männlicher Homosexualität war zwar aufgehoben. Die Vorurteile gegenüber queeren Menschen, die Stigmatisierungen und Diskriminierungen blieben aber bestehen. Die queere Emanzipationsbewegung war noch längst nicht am Ziel. In diesem Blogbeitrag blicken wir in die Entwicklung der 1970er und 80er Jahre in Mannheim.

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