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Von den „Luftschifferbaracken“ über die „Gondel-Avenue“ bis zur „Endstelle“ – die Geschichte des Brennpunktes Schönau-Nord

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Zehn kleine, weiße Steinbauten sind neben dem Gelände der Kaserne zu erkennen. Sie trugen den Namen "Gondel-Avenue".

Nicht nur die sogenannten „Benzbaracken“ entstanden in den späten 1920ern, sondern auch auf der Gemarkung Sandhofen, der heutigen Schönau, wurde versucht in kurzer Zeit möglichst viel Wohnraum für die Ärmsten der Armen zu schaffen.

Den Stein des Anstoßes für den Ausbau des sozialen Wohnungsbaus durch die Stadtverwaltung gab die verheerende Wohnsituation der Weimarer Republik. An vielen Ecken des Mannheimer Stadtgebiets zogen Menschen in Baracken, wie zum Beispiel im ehemaligen Kriegsgefangenenlager am Ulmenweg, oder bildeten sich vielerorts nicht genehmigte, provisorisch errichtete „wilde Siedlungen“, wie die Spelzengärten in der Neckarstadt.

Im Gebiet der heutigen Schönau-Nord, damals noch Sandhofener Gemarkung, bildeten sich rasch mehrere Standorte mit Notwohnungen. Seit 1914 war die heutige Schönau-Nord Standort einer Luftschifferkaserne mit Luftschifferhalle und dem erforderlichen Gelände. Infolge der Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg musste jedoch die Kaserne mit ihrem Gelände stillgelegt werden. Das angrenzende Ackerland wurde über die Jahre für verschiedene Zwecke genutzt. Zunächst tatsächlich zum Anbau von Gemüse, später verstärkt im Vereinswesen. In die Kaserne zogen Bedürftige ein. Für 1920 werden „neunzig Menschen“ erwähnt, für 1929 „41 Haushalte mit 76 Erwachsenen“.

Neben einer wilden Siedlung nördlich der Zellstoffabrik, wurden 1926 die sogenannten „Grünen Häuser“ am Weinheimer Weg, der heutigen Lilienthalstraße an der heutigen Ecke zur Königsberger Allee gebaut. Sie waren zweigeschossig und könnten, mit heutigen Augen betrachtet, auf den ersten Blick als nette Mehrfamilienhäuser durchgehen. Die späten zwanziger Jahre erlaubten jedoch nur geringste Mittel für die Bekämpfung der Wohnungsnot aufzuwenden, sodass man in jeder Hinsicht, vor allem aber an der Innenausstattung sparte. Schnell bürgerte sich für diese Gebäude daher die Bezeichnung „Behelfsbauten“ ein. Sie boten Platz für vierzig Haushalte, die in der Regel sehr kinderreich waren.


Die „Grünen Häuser“, um 1926. MARCHIVUM.

Direkt hinter den "Grünen Häusern" sprossen über die Jahre Notwohnungen wie Pilze aus dem Boden, zunächst jedoch genau an der Stelle, an der zuvor die Luftschiffhalle des Militärkomplexes gelegen war. 1926 wurden die sogenannten „Luftschifferbaracken“ geplant und errichtet. Der Planungs- und Bauprozess vollzog sich gleichzeitig mit dem der sogenannten „Benzbaracken“ auf dem Waldhof. Die Bauweise war für beide Siedlungen identisch. Große Barackenzeilen standen sich gegenüber, in deren Mitte ein Schuppen mit Toiletten und Abstellkammer war. Die Bezugsgenehmigungen erfolgten mit kleinem zeitlichen Versatz im März 1927 für beide Siedlungen. Während nach diesem ersten Bauabschnitt am Benzwerk 32 Haushalte in den Wohnbaracken Platz fanden, waren es auf dem Luftschiffergelände 64. Die Menschen, die hier lebten, hatten entweder die Adresse „Luftschiffhalle West“ oder „Luftschiffhalle Ost“.

Zusammen mit Menschen, die in der Kaserne selbst und kleineren Baracken im direkten Umfeld selbiger untergebracht waren, lebten im sogenannten „Luftschiffergebiet“ rund 250 Haushalte, was wohl weit über tausend Personen bedeutete. Sehr zum Missfallen der Sandhöfer, die sich über die zunehmende Verrohung ihrer Nachbarschaft beschwerten. Bereits in dieser Zeit hatte sich also der noch lange anhaltende sozioökonomische Riss zwischen der nördlichen und der südlichen Schönau gebildet. Laut der Chronik „Mannheim-Schönau: Von einer Randsiedlung zum Stadtteil“ bestanden die bisher beschriebenen Bauten zum Teil noch bis 1959.


Luftansicht der "Luftschifferbaracken" 1927 mit Kaserne im Hintergrund. MARCHIVUM.

In einer groß angelegten Sozialbauoffensive 1951, wendete die Gemeinnützige Baugesellschaft rund 50% ihrer Kapizitäten auf die Schönau auf. So baute man laut Mannheimer Morgen vom 15.8.1951 nun 256 Wohnungen für Pendler, 128 für Flüchtlinge und 62 für kinderreiche Familien. Zu dieser Melange aus Einheimischen und Geflüchteten kam noch eine dritte, zahlenmäßig kleinste, Gruppe hinzu. In der heutigen Ballonstraße, damals Gondelstraße, wurden zehn eingeschossige Einfachstbauten errichtet, die für Mieträumungsschuldner vorgesehen waren. Schnell bildete sich eine Art Konkurrenzverhältnis zwischen diesen Gruppen. Die zwar armen, aber sich für rechtschaffen haltenden, Bewohner der Wohnblöcke einerseits und die als "kriminell" geltenden "Barackler" andererseits.

Jedes dieser zehn Gebäude hatte zwei Haustüren, die Zugang zu jeweils zwei Wohnungen boten, sodass insgesamt 40 Haushalte in „der Gondel“ Platz fanden. Die Haushalte eines Eingangs teilten sich dabei eine Toilette. Obwohl sie in ihrem Erscheinungsbild den „Baracken“ vom Hinteren Riedweg sehr ähnlich sahen und der erweiterten Nachbarschaft aufgrund „der Primitivität der Baracken“ angst und bange wurde, wer wohl die neuen Nachbarn werden würden, erklärte Oberbürgermeister Heimerich, dass die Gebäude „unter keinen Umständen unter den Begriff Baracken fallen“ konnten. Er bevorzugte vielmehr den Begriff „Steinhäuser“. Der Volksmund erklärte die Straße jedenfalls recht bald zur „Gondel-Avenue“ oder dem „Tal der flachen Dächer“. Und obwohl die Presse beobachtete, dass die Straße nicht mit dem „Ghetto am Hinteren Riedweg“, also den „Benzbaracken“, zu vergleichen sein konnte, erlangte sie schnell einen zweifelhaften Ruf. Klagen über „Schlägereien, Ruhestörungen u.a.“ wurden bald laut.


Luftbild von 1953: Zentral verläuft die heutige Lilienthalstraße, die Schönau-Nord und -Süd trennt. Oberhalb sind die zehn weißen, eingeschossigen Häuser der „Gondel-Avenue“ zu erkennen. Zum Ende der Straße befindet sich die Kaserne. MARCHIVUM.

Zusammen mit den 1956 gebauten Sozialwohnungen in der Marienburger, Heilsberger und Rastenburger Straße bildete „die Gondel“ um die Endhaltestelle der Straßenbahn einen an Kindern und Jugendlichen enorm reichen sozialen Brennpunkt. Später kamen auch Gastarbeiter und Einwanderer in das Quartier, sodass sich zu den bereits bestehenden Schwierigkeiten neue Herausforderungen auftaten. Die Bausubstanz der zuletzt erwähnten Straßenzüge wurde bereits 1973 öffentlich als sanierungsbedürftig bezeichnet, wobei die GBG selbst einräumte, nicht genügend Mittel zur Sanierung zu haben. Das „Tal der flachen Dächer“ in der Gondelstraße wurde schließlich 1972 durch drei siebenstöckige Hochhäuser ersetzt. In den späten 1980ern folgte der Abriss der zwischenzeitlich gebauten Laubenganghäuser im Gebiet, die 1984 als Obdachlosenunterkünfte dienten. In der Kaserne fanden zu Beginn der 1990er auch Asylsuchende Platz. Die rassistischen Ausschreitungen im Jahr 1992 gegen eben jene stellen wohl die meistbeachtete Eskalation im Viertel dar.

Es kann festgehalten werden, dass der nördliche Teil der Schönau vom Moment seiner Besiedelung ein Ort war, an dem vor allem arme Menschen wohnten und entsprechende Spannungen auftraten. Zu diesen armen Menschen kamen stets weitere arme Menschen, sodass sich die Spannungen verschärfen und auf verschiedene, nicht zuletzt gewalttätige Weisen entluden. Trotz diverser baulicher Veränderungen und der allgemeinen Verbesserung der wirtschaftlichen Lage, wirkt die Geschichte bis in die Gegenwart, sodass das Gebiet um „die Endstelle“ auf der Schönau nach wie vor als sozialer Brennpunkt gilt und ein feststehender Begriff in der Mannheimer Bevölkerung ist. Aktuelle Baumaßnahmen lassen auf nachhaltige Verbesserungen hoffen.

Literatur:
Kultur- und Interessengemeinschaft Mannheim-Schönau e.V. (Hg.): Mannheim-Schönau. Von einer Randsiedlung zum Stadtteil. Eine Heimatchronik. Concordia-Druckerei König oHG. Mannheim 1999.
"Wohnungselend in Mannheim-Schönau". Aus: Rhein-Neckar-Zeitung vom 25.5.1970.
"Häßliche Baracken in Schönau machen Platz für Hochhäuser". Aus: Mannheimer Morgen vom 9.2.1972.

 

 

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