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1933 - Zwei Bücherverbrennungen in Mannheim

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schwarz-weißes Luftbild von 1927 mit der Friedrichsbrücke (heute Kurpfalzbrücke). Oben rechts die Alte Feuerwache und dahinter das Neckarufer mit Beginn des Teilstücks „Weißer Sand“

Wenige Monate nachdem, die Nationalsozialist*innen 1933 an der Macht waren, wurden in vielen großen deutschen Städten Bücherverbrennungen durchgeführt. Demonstrativ wollten Teile des neuen Regimes unliebsame Schriften öffentlich vernichten auch, um so ihre ideologische Ausrichtung deutlich zu machen. So geschah es auch in Mannheim.



Blick auf die Friedrichsbrücke (heute Kurpfalzbrücke) im Jahr 1936. Im Hintergrund die Alte Feuerwache und die danebenliegende Freifläche am Neckarufer, wo die Bücherverbrennungen stattfanden. MARCHIVUM

Der erste Propagandaakt dieser Art, organisiert von der Mannheimer Studentenschaft, fand am 19. Mai 1933 im Rahmen der reichsweiten Aktion "Wider den undeutschen Geist" statt und ist weithin bekannt. Neben schwarz-rot-goldenen Flaggen wurden an die 2.500 Bücher auf einem großen Scheiterhaufen am "Weißen Sand", dem Neckarufer zwischen der Alten Feuerwache und der heutigen Friedrich-Ebert-Brücke, verbrannt.



Ankündigung in der NS-Tageszeitung "Hakenkreuzbanner" vom 18. Mai 1933 für die erste Bücherverbrennung, die einen Tag später stattfand. MARCHIVUM

Die verfemten Werke stammten zumeist aus der Feder von Autor*innen, die entweder einen jüdischen oder kommunistischen Hintergrund hatten oder sich Themen widmeten, die den neuen Machthabern zuwider waren. Als besonders verhasst galten z.B. Schriften über starke, selbstbestimmte Frauen, Darstellungen von modernem Gesellschaftsleben oder Antikriegsliteratur. Tausende Menschen waren bei dieser nationalsozialistischen Propagandaaktion dabei.



Werbung im Generalanzeiger vom 5. April 1916 für den in Mannheim von Lily Braun stattfindenden Vortrag "Die Frau von übermorgen". Auch Brauns Bücher wurden im Mai und Juni 1933 auf den Scheiterhaufen geworfen. MARCHIVUM



Werbung vom 6. März 1933 in der "Neuen Mannheimer Zeitung". Im Mannheimer Kino Alhambra lief für der mit Stars besetzte Film "Menschen im Hotel". Diesen Bestseller-Roman verfasste Vicki Baum, deren Bücher im Mai und Juni in Mannheim gleichfalls verbrannt wurden. MARCHIVUM

Weniger bekannt ist, dass in der Quadratestadt knapp vier Wochen nach der ersten Verbrennung am Samstag, den 17. Juni 1933 eine zweite Bücherverbrennung stattfand.

Aber warum? Vermutlich hatte der große Erfolg der ersten Aktion die Anregung gegeben. So kündigte der Führer der badischen Hitlerjugend (HJ), Friedhelm Kemper, am 8. Juni 1933 im Rundfunk mit einer markigen Propagandaansprache eine auf zwei Wochen geplante Aktion der Hitlerjugend mit dem martialischen Titel "kulturelle Kampfwochen" an.



Friedhelm Kemper (Mitte) als HJ-Gaubeauftragter bei der Grundsteinlegung 1937 für das HJ-Heim am Erlenhof in Mannheim. Mit dabei war auch Oberbürgermeister Carl Renninger (links). MARCHIVUM

Auch in Zeitungen, wie dem Mannheimer NS-Organ "Hakenkreuzbanner", wurde Kempers Aufruf beworben und sogar eine Liste mit dem zu ächtenden Schriftgut veröffentlicht. Sie diente offensichtlich auch dazu, der Jugend und der Bevölkerung eine Anleitung an die Hand zu geben, was vernichtet werden sollte. Diese Sammelaktion sollte dann nach der ersten "kulturellen Kampfwoche" mit einer weiteren öffentlichkeitswirksamen Bücherverbrennung mittels Scheiterhaufen ihr Finale finden.

In der zweiten Woche sollten dann badische Heimatdichter geehrt werden, die zuvor angeblich nicht gewürdigt worden seien.



Symbolfoto: Jungvolk der Hitler-Jugend (HJ), so genannte Pimpfe, treten in Marschausrüstung vor dem Schlageter-Haus in M 4a an, Foto von 1939. MARCHIVUM

Am Montag, den 12. Juni 1933, fand in Mannheim zum Auftakt der "kulturellen Kampfwochen" im Friedrichspark eine große Kundgebung mit Vertretern von Kirche und Schule statt. Auf der Bühne wurde "Gebietsführer Friedhelm Kemper von allen stürmisch begrüßt". Kemper wies bei seiner Rede die Jugend dabei "auf ihre besondere Mission hin" und verstand es, die Jugendlichen auf seine Ziele einzuschwören. Das NS-Organ "Hakenkreuzbanner" berichtete wie folgt:

"Von Haus zu Haus zogen die Jungens und Mädels nicht bettelnd sondern fordernd und aus den versteckten Winkeln holten sie oft das literarische Gift der Novembergeister. In ungeheurer Menge sammelten sich so die verdammten Bücher und Schriften, so dass mehrere Tage notwendig gewesen wären, um sie alle zu verbrennen. Es wurden deshalb die übelsten Machwerke herausgesucht und … Der Rest wird eingestampft."



Symbolfoto: Eine Gruppe des Bund Deutscher Mädel (BDM) bei einem Ausflug, 1939. MARCHIVUM

Doch das Wetter machte die geplante Verbrennungsaktion in den Städten Mannheim und Karlsruhe zu einem Fiasko, denn es goss in Strömen. Während in Heidelberg die Aktion um rund einen Monat verschoben wurde, zog man in Karlsruhe und Mannheim die Sache durch, allerdings deutlich weniger öffentlichkeitswirksam und martialisch als ursprünglich geplant, wie der Bericht der genannten Zeitung vermuten lässt:

"Nach dem Motto „"etzt erst recht" versammelten sich rund 600 Hitlerjungen, Jungvolk und eine Abteilung des BDM, um gemeinsam unter Vorantritt des zum erstenmal auftretenden Untermann-Spielmannszug zum Platz am "Weißen Sand" (Adolf-Hitler-Ufer) zu marschieren."

Das ursprünglich vorgesehene Rahmenprogramm zur Unterhaltung der erhofften Zuschauermassen mit Volkstänzen und Feueransprache musste wohl ersatzlos entfallen. Der unablässige Regen sorgte sogar für eine eher ungewöhnliche Maßnahme, man gab sich fürsorglich und schickte die Jüngsten der HJ nach Hause, wie die NS-Zeitung berichtete:

"Über die Friedrichsbrücke schwenkte das Jungvolk aus dem Zuge, um sich aufzulösen. Die Leitung des Aufmarsches konnte nicht verantworten, daß die Jüngsten weiterhin den Unbilden der schlechten Witterung ausgesetzt sein sollten."

Um die Verbrennung überhaupt durchführen zu können mussten die Organisator*innen vermutlich, wie in Karlsruhe, ständig Petroleum nachgießen, damit das Feuer nicht frühzeitig erlosch.



Luftbild von 1927 mit der Friedrichsbrücke. Oben rechts die Alte Feuerwache, dahinter erstreckt sich das Neckarufer mit Beginn des Teilstücks "Weißer Sand". MARCHIVUM

Das dürften sich die Akteur*innen der Aktion sicher anders vorgestellt haben, aber für Friedhelm Kemper hatte es sich trotzdem gelohnt, er wurde alsbald befördert. Ein anderer Akteur bei der zweiten Mannheimer Bücherverbrennung war der damalige Unterbannführer und Leiter des HJ-Banns 171 Oskar Lampart (1895-1959). Lampart war eigentlich Lehrer von Beruf, unterrichtet etwa1928 noch an der K 5-Schule. Der von ihm erhoffte Karriereschub jedenfalls verhinderten parteiinterne Streitigkeiten. Nach dem Krieg wurde er als "alter Nazi" bezeichnet und im Entnazifizierungsverfahren als Belasteter eingestuft. Er durchlief das Verfahren und legte Berufung ein. Schließlich konnte er sich als "Mitläufer ohne Sühnemaßnahmen" weitgehend aus Verantwortung ziehen und kehrte wieder in den Schuldienst zurück. Kurz vor seiner Pensionierung erreichte er das, was ihm während des NS-Regimes nicht geglückt war: Er wurde zum Rektor einer Karlsruher Schule befördert.



Oskar Lampert (1895-1959) um 1936. Generallandesarchiv Karlsruhe (465c Nr. 1343)

Diese zweite Bücherverbrennung zeigt einmal mehr, wie früh Kinder und Jugendliche vom nationalsozialistischen Regime zielgerichtet instrumentalisiert wurden. Mit ihrer Hilfe glaubte das NS-Regime seine Ideologie in der Gesellschaft schneller umzusetzen zu können, da sie in Teilen noch nicht im Gleichschritt der "Volksgemeinschaft" marschierte. Viele der verfemten Autor*innen noch wenige Jahre und Monate zuvor gefeierte Stars im Buchhandel, in Büchereien, im Kino und damit auch im alltäglichen präsent Stadtgespräch gewesen. So wundert es nicht, dass der badische Dichter Ludwig Finckh Ende Juni 1933 in der "Neuen Mannheimer Zeitung" forderte: "Jungen und Mädel! Geht hinaus in die Buchhandlungen und fragt nach solchen Büchern und Bildern […]  Erzieht so durch Eure Nachfrage Buchhandel und Verleger […]."



Namensliste der verfemten Schriften und Autor*innen, erschienen im "Hakenkreuzbanner" am 10. Juni 1933. Die Transkription der Liste kann hier eingesehen werden.

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