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„mit genagelten Knochen und schmerzstillenden Spritzen“ – Waldhofs großer Triumph beim FC Bayern

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Mannschaft des SV Waldhof von 1984. In drei Reihen sitzen und stehen die Spieler in weißen Trikots.

Was standen da für Namen auf dem Platz… Klaus Augenthaler, Lothar Matthäus, Michael Rummenigge, Dieter Hoeneß, Günter Sebert, Jürgen Kohler, Dimitrios „Dimmi“ Tsionanis, Karl-Heinz Bührer und Fritz Walter – an den Seitenlinien Udo Lattek und Klaus Schlappner.

Selbstverständlich geht es um den glorreichen 2:1 Auswärtserfolg des SV Waldhof Mannheim beim großen FC Bayern vom 6. Oktober 1984 im Olympiastadion zu München. Ein Held der Waldhof-Buben blieb jedoch in der Aufzählung unerwähnt – Torhüter Walter Pradt. Der folgende Text soll eine legendäre Episode des Mannheimer Fußballs darstellen und an den 2014 verstorbenen Namenspatron der Südtribüne des Carl-Benz-Stadions erinnern.

Ende der Vierziger, genauer gesagt 1949, in Wiesbaden geboren fand Walter Pradt beim FC Nürnberg in den Profifußball. Da es in drei Jahren jedoch nur für einen einzigen Einsatz beim „Glubb“ reichte, wechselte Pradt zur SpVgg Bayreuth, wo er es immerhin auf 22 Einsätze in zwei Jahren brachte. So machte sich der damals 24-Jährige 1973 schließlich auf in den Mannheimer Norden, um hier fortan als Stammtorhüter zwischen den Pfosten zu stehen. Der SV Waldhof war zu dieser Saison frisch in die zweitklassige Regionalliga Süd aufgestiegen, wo er zehn Jahre lang ein Dasein als Mittelfeldmannschaft fristete, ehe ihm in der Spielzeit 1982/83 der Aufstieg in die Bundesliga gelingen sollte.


Empfang im Rosengarten für den in die Bundesliga aufgestiegenen SV Waldhof 1983. MARCHIVUM.

Über nahezu die komplette Regionalligazeit war Walter Pradt nicht nur als Torwart gesetzt, sondern erarbeitete sich auch den Status als Elfmeterschütze der Blau-Schwarzen. Insgesamt stehen für seine Laufbahn beim SVW etwa 300 Pflichtspieleinsätze (schwankende Quellenlage) mit zwölf Toren (!) zu Buche. Alleine in der Saison 1979/80 erzielte er acht Treffer vom Punkt und war somit zweitbester Schütze des SV Waldhof, wie verschiedene Fußballdatenbanken angeben.

Springen wir nun aber zu diesem legendären 6. Oktober 1984, den Pradt selbst im Nachgang als „schönsten Tag“ seiner Laufbahn bezeichnete. Der bis dato ausnahmslos siegreiche Tabellenführer aus München empfing den Bundesliga-Sechsten aus Mannheim an diesem 7. Spieltag. Und dass die Siegesserie der Bayern heute bröckeln könnte, glaubten nur die wenigsten. „Zu Oktoberfest-Zeiten hat bei den Münchner Bayern keiner eine Chance“, hieß es im Vorfeld des Aufeinandertreffens.

In der Vorsaison noch 6:0 in München unter die Räder gekommen, waren die Waldhof-Buben allerdings mit anderen Vorsätzen angereist. Man wollte zumindest einen ernstzunehmenden Gegner abgeben und nicht wie „Jungs“, wie „Fans von den Bayern“ auftreten, so Trainer Schlappner vor der Partie.

Zu den schwierigen Vorzeichen gehörte auch, dass Walter Pradt, der mit seinen 35 Jahren eigentlich nur noch Ersatztorhüter war, für den kurzfristig verletzten Uwe Zimmermann aufs Rasenrechteck musste. Dass Pradt, noch immer die Auswirkungen eines Beinbruchs aus dem Mai spürte, ja „mit genagelten Knochen und schmerzstillenden Spritzen“ ins Spiel gegangen war, wie es Waldemar Hartmann in der Reportage formulierte, stand der Glanzleistung der Waldhof-Legende letztlich aber nicht im Weg.

Das Spiel selbst gestaltete sich so, dass praktisch nur auf das Waldhöfer Tor gespielt wurde. Schuss nach Schuss flog auf das Gehäuse Walter Pradts, der es im Nachgang wie folgt beschrieb: „Die Bayern schossen mich aber frühzeitig warm und das kam mir entgegen, ich steigerte mich in eine gute Form und bekam Vertrauen als ich merkte, daß ich während den Aktionen so gut wie keine Schmerzen hatte.“


Autogrammkarte Walter Pradts vermutlich aus der Saison 1983/84. MARCHIVUM.

Lediglich einen Part seines Torwartjobs konnte er nicht schmerzfrei ausführen, das Abschlagen. So bat er eine andere Waldhof-Legende und seit Januar 2023 Namenspatron der Westtribüne des Carl-Benz-Stadions, Günter Sebert darum, dies für ihn zu übernehmen.

Die Mannheimer hatten in der ersten Halbzeit lediglich eine Chance durch Fritz Walter, der mit einem Fallrückzieher allerdings nicht für größere Gefahr sorgen konnte. Nach dem Pausenpfiff ging es wieder nur auf das Tor der Blau-Schwarzen zu und in der 62. Minute musste Walter Pradt schließlich auch einmal hinter sich greifen. Einen Distanzschuss von Bernd Dürnberger konnte er nicht abwehren. Die Waldhöfer allerdings agierten in der Folge „im Stil eines Klasse-Teams“, wie es Bayerntrainer Lattek sagte, und „erzwangen den Erfolg“. Zwei Chancen, zwei Tore – Schlindwein in der 67. und Heck in der 75. drehten mit sehenswerten Treffern die Partie und das Prunkstück der Mannschaft, die Defensive, rettete das Ergebnis über die Zeit.

Auch Klaus Schlappner lief im Nachgang noch zur Höchstform auf und antwortete gewohnt scharfsinnig auf Nachfragen der Presservertreter.

Ob er fortan wieder dauerhaft zwischen den Pfosten stehen wolle, verneinte der Held des Tages ebenso wie seine herausragende Rolle an diesem Tag: „nicht ich habe gegen die elf Bayern gespielt, sondern eine Mannschaft“. Diese jedoch trug ihn nach Abpfiff auf den Schultern. Und so glückte das Experiment mit dem eigentlich verletzten Torhüter gegen die Bayern, dessen größte Angst es vor dem Spiel gewesen war, „dass der Doktor im Stau stecken bleiben könnte“. Dann nämlich hätte dieser ihm nicht die schmerzstillenden Spritzen verabreichen können.

Aber schließen wir nun diese Anekdote, die praktisch alles bietet, was den SV Waldhof in den 1980ern auszeichnete und für eine Reihe von Sympathien in der ganzen Bundesrepublik sorgte: eine eingeschworene Mannschaft, Fußballarbeiter in blau und schwarz und einen Trainer, dessen markige Sprüche in ganz Deutschland für Aufstehen sorgten.


Mannschaft des SV Waldhof von 1984. MARCHIVUM.

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